Einführung in den Sufismus

Sufismus

Bismillahirrahmanirrahim

Sufismus ist Mystik, nichts anderes als Mystik. Sufismus ist die mystische Dimension des Islam.

 

Mystik gibt es in jeder Religion. Sie ist der Versuch und die Bemühung, die Wahrheit hinter dem Greifbaren zu erfahren. In der Sufiliteratur wird Mystik manchmal mit einem Fluss verglichen, der als Quelle im Gebirge entspringt und später dann als Fluss die verschiedensten Länder durcheilt. Jedes Land, das er durchquert, beansprucht ihn für sich. Jedes Land gibt ihm seinen eigenen Namen. Aber in Wirklichkeit ist es nur ein Fluss. Durch welches Land und welche Landschaft er gerade fließt, es ist immer derselbe Fluss. So ist es auch mit der Mystik. Wahrheit kann man nicht besitzen, genauso wenig wie man einen Fluss besitzen kann. Aber man kann an ihr teilhaben, genauso wie man an einem Fluss teilhaben kann.

 

Es ist daher müßig zu sagen, in Zentralasien gab es die Sufis schon lange vor Muhammad (s.a.s.), oder, wie sogar gelegentlich behauptet wird, im biblischen Jerusalem. Der Sufismus, wie wir ihn heute im Allgemeinen verstehen, und da sind sich die meisten namhaften Vertreter des Sufitums einig, muss als dem Islam zugehörig betrachtet und keineswegs von ihm isoliert gesehen werden. Auch wenn, um zu unserem Beispiel vom Fluss zurückzukommen, es die Wahrheit in jeder Religion oder jedem Land unter einem anderem Namen gibt und schon immer gab. Allerdings, und auch da sind sich die meisten Vertreter des Sufitums einig, sollte der islamische Glaube hier im Westen viel mehr in seiner Mannigfaltigkeit und Farbigkeit wahrgenommen werden, und nicht in dieser stereotypen, negativen Weise, wie es hier leider sehr oft geschieht.

 

Wir unterscheiden im Sufismus zwei wesentliche Richtungen. Die eine ist die Erkenntnismystik, und die andere die Liebesmystik. Beide Flügel sind normalerweise in den verschiedenen Sufi-Orden vertreten. Aber es gibt in jedem Orden gewisse Schwerpunkte, die je nach dessen Charakter mehr zu der einen oder eher zu der anderen Seite neigen. Dies hat persönliche, regional bedingte, oder historische Ursachen, deren nähere Untersuchung aber auf dieser Ebene zu weit führen würde.

 

Historisch betrachtet finden wir die Wurzeln des Sufitums im Islam der Anfangszeit, im Islam des Gottesgesandten Mohammad (s.a.s.) Als nach dessen Ableben die ersten vier Kalifen, die so genannten „rechtgeleiteten Kalifen“, seine Nachfolge übernommen hatten, kam es zu großen Machtkämpfen, die vorerst die Omayyaden für sich entschieden. Diese waren die Nachfolger des Kalifen Omar (s.a.s.), von dem sich ihr Name ableitet. Im Unterschied zu den asketischen, bescheidenen Kalifen der Anfangszeit waren ihre Nachfolger deutlich dem Machthunger und dem Weltlichen verfallen. Die islamische Welt reichte damals schon vom Hindukusch bis zum Maghreb. Unvorstellbarer Reichtum kam unvermittelt ins Land. Und so wie auch heute, korrumpierte der Reichtum die Menschen, die daran teilhaben konnten. Es gab starke gesellschaftliche Strömungen, die zum rechtmäßigen, islamischen Leben aufriefen und es gab immer wieder Rebellionen gegen das „sündhafte“ Regime. Das omayyadische Herrscherhaus galt vielen, ob seines Prunkes und Machtmissbrauchs als sündhaft. Es hatte seinen Sitz inzwischen von Medina nach Damaskus verlegt und war lange Zeit in der Lage, die aufkeimenden Konflikte zu seinen Gunsten entscheiden.

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Die Mutaziliten

Mit Beginn des zweiten islamischen Jahrhunderts kamen aber dann die Abbasiden an die Macht. Durch sie wurde Bagdad zur Hauptstadt des arabischen Reiches und löste damit Damaskus ab. Die Omayyaden, die in Damaskus residierten, beschäftigten zu ihrer Zeit noch zahlreiche Christen am Hofe, und daher gab es dort einen regen Gedankenaustausch zwischen Christen und Moslems. Bei den neuen Machthabern in Bagdad änderte sich das aber. In der ersten Hälfte des achten Jahrhunderts bildete sich in Basra die Schule der Vernunft, die Schule der Mutaziliten. Als ihr Gründer gilt Wasil ibn Ata (gest. 748). Sein Leitsatz war: „Erste Vorbedingung für das Wissen ist der Zweifel“ und „fünfzig Zweifel sind besser als eine Gewissheit.“ Die Vernunft kam also zu Wort. Der Zwist und teilweise auch kriegerischer Streit zwischen den verschiedenen Lehren der Kadariten (Anhänger der Auffassung des Freien Willens) und der Djarbriten (Anhänger der Auffassung der uneingeschränkten Herrschaft Gottes und damit des Schicksals) wurde nun durch Vernunft beigelegt. Unter dem Einfluss der Leute der Vernunft, kam es zu großer geistiger Blüte. Es wurden nun wieder die alten Griechen entdeckt und übersetzt. Die Logik und, wie schon gesagt, die Vernunft kehrten ein. Die neuen Theologen waren von nun an auch in der altgriechischen Gedankenwelt etc. zu Hause. Es gab fortan wieder völlig neue Blüten in der intellektuellen, islamischen Welt. Aber nicht nur die Werke der Griechen, auch die der alten Perser wurden übersetzt, ja sogar Texte aus dem Sanskrit. Auch Byzanz wurde durch seine Nähe zu den Arabern sehr stark durch diese Schulen inspiriert. Mit der Einnahme von Konstantinopel durch die Osmanen im Jahr 1453 kam diese Gedankenwelt dann auch langsam nach Europa, als die geistige Elite des Oströmischen Reiches über Italien nach Europa floh, wo damit die Renaissance begann und eine neue Blütezeit in der europäischen Kultur anbrach. Es ist somit eine Ironie der Geschichte, dass Europa die Aufklärung wesentlich auch islamischen Gelehrten zu verdanken hat.

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Die Rechtschulen

Die Vertreter der neuen intellektuellen Richtung der Mutaziliten, waren zwar in ihrem Glauben auch dem Qur`an verpflichtet, aber ihre Mittel zur Begründung der islamischen Glaubenssätze stammten auch aus anderen Quellen. Nun erlebte diese neue Richtung ihren Höhepunkt. Es wurden neue Glaubensätze etwa über den freien Willen aufgestellt und jetzt plötzlich, im Gegensatz zu früheren Strömungen, die Vertreter der konservativen Richtung verfolgt. Es kam aber dann natürlich, wie könnte es anders sein, wieder zu entsprechenden Gegenbewegungen, die letztlich zur Entstehung der sogen. „Rechtsschulen“ führten, welche dogmatisch festlegten, was der rechte Islam sei und was nicht.

 

Der erste Vertreter dieser damals schon sehr konservativen Richtungen war Ahmad ibn Hanbal (780-855). Auf ihn geht die Rechtsschule der Hanbaliten zurück. Es gab ursprünglich noch mehrere Rechtschulen. Vier haben sich aber bis heute erhalten. Diese sind die der Malakiten, der Schafiiten und der Hanafiten. Die heute am meisten vertretene Rechtsschule ist die der Hanafiten.

 

Diese konservativen Bewegungen haben dann ihrerseits wieder Gegenbewegungen erfahren. Besonders erwähnt sei hier nur noch Abu’l-Hasan al-Asari, der als Vermittler zwischen der Schule der Vernunft und der Orthodoxie gilt. Das aber, was wir heute im Allgemeinen unter „Islam“ verstehen, wurde durch diese Rechtsschulen festgelegt und kanonisiert.

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Die Sufis

Parallel zu den oben angerissenen Strömungen entwickelten sich die Sufis. Diese hielten sich damals stark an die erwähnte Symbiose von Vernunft und Orthodoxie. Zu Beginn des 8. Jh. entstanden die ersten asketischen Sufi-Gemeinschaften, die im Hinblick auf das bescheidene Leben in der Anfangszeit des Islams dem Weltlichen entsagten. Diese Zeit kann man als die Frühzeit des Sufismus bezeichnen.

 

Hasan al-Basri (gest.728) gründete die erste Sufischule in Basra. Ursprünglich war er einer der ersten Wegbegleiter von Hasan ibn Ata, dem schon erwähnten Gründer der Mutaziliten-Bewegung. Er trennte sich aber schon bald von ihm und seiner Gedankenwelt. Von ihm stammt der Ausspruch, der so typisch ist für diese Bewegung in der sufischen Frühzeit: „Wer Gott kennt, liebt ihn. Wer die Welt kennt, entsagt ihr“. Mit ihm und besonders unter seinen Nachfolgern entstand dann die klassische Erkenntnismystik. Diese Lehre ist, wie schon der Name sagt, auf die Gottes- und die Selbsterkenntnis ausgerichtet.

 

Abu Haschim aus Kufa (gest.767) war erste, der der Überlieferung nach, Sufi genannt wurde. Er gründete in Syrien die erste Zawiya, ein Haus das extra dazu errichtet wurde, um Menschen (den ersten Derwischen) den Rückzug vom Alltag zu ermöglichen. Hier dürfte u.a. auch das Christliche Mönchtum Pate gestanden haben (Wüstenväter). Aber schon zu Ende des achten Jahrhunderts war es einer Frau vorbehalten,die unverblümte und rückhaltslose Liebesmystik in den Sufismus einzuführen.

 

Rabia von Basra (gest. 801) war es, die von Gott als dem Geliebten sprach, die mit Gott verliebte Gespräche führte und das intime, ganz persönlich geprägte Liebesverhältnis zu Gott ihren zahlreichen Schülern und Schülerinnen als Lehre weitergab. Wir betonen an dieser Stelle, dass es sich hier um eine Frau handelte, was darauf hinweist, dass Frauen damals eine ganz andere Stellung innehatten als in späteren Epochen und teilweise auch heute noch. Von ihr stammt folgendes Gebet: „Oh Gott, wenn ich zu Dir bete aus Furcht vor der Hölle, so verbrenne mich in der Hölle und wenn ich zu Dir bete in der Hoffnung aufs Paradies, so entziehe es mir. Doch wenn ich zu Dir um Deiner Selbst Willen bete, so halte mir bitte Deine urewige Schönheit nicht vor.“

 

An diesem Beispiel, ist aber schon ein wesentlicher Teil der Sufi-Mystik angerissen. Denn die Sufi-Mystik, wie wir sie heute kennen, ist sehr stark von dieser Liebesmystik geprägt. Die Voraussetzung für diese Liebe ist aber nach wie vor die Erkenntnis. Denn um sich in Gott zu verlieben, muss er vorher erkannt werden. So ist eben diese Gotteserkenntnis als Voraussetzung nötig, von der gerade gesprochen wurde, um zur Liebesmystik zu gelangen. Oder könnte man sich einen Liebenden vorstellen, der den oder die Geliebte nicht kennt? Daher ist der Weg des Sufi doch zuallererst eine Suche nach Erkenntnis. Erst wenn diese vorhanden ist, kann auch die Verliebtheit einsetzen, die den Suchenden dann unter Umständen zu jenen Tönen motiviert, die Hz. Mevlana Rumi und andere große Mystiker anschlugen, und die uns schließlich die schönsten Liebesgedichte der Weltliteratur hinterließen. In Basra und Bagdad entstanden so die ersten großen spirituellen Zentren und Schulen.

 

Die Sufis konnten sich unter der abbasidischen Herrschaft sehr erfolgreich entfalten. Obwohl sich das sufische Gedankengut sicher oft stark von dem der Mutaziliten unterschied, gab es doch auch viele Übereinstimmungen. Wie schon erwähnt, kann man ihre Einflüsse, speziell die der altgriechischen Philosophen, sehr stark im Sufigedankengut finden. Mit den Rechtsschulen und der Machtübernahme der konservativen Kräfte kam es in der Islamischen Welt auch öfter zu Verfolgungen von Andersdenkenden. So wurden natürlich auch häufig Sufischulen als Orte der Ketzerei und der Häresie gebrandmarkt. Aber die Sufis fanden ihr Tun immer wieder durch den Qur’an bestätigt. Ohne dies wären sie leicht zum Ziel von Anschuldigungen geworden. Aber so heißt es doch im Qur’an so bezeichnend: „Er liebt sie, und sie lieben Ihn…“(Sura 5:59) Bagdad wurde nun mehr und mehr zur Metropole der Sufibewegung. Die berühmtesten Mystiker des Sufitums erscheinen nun: Junayd, Dhu`n Nun, Bayesit al-Bistami, Al-Hallaj, um nur einige wichtige Namen zu nennen.

 

Junayd war ein vollendeter Denker, der die exstatischen Erlebnisse und die mystischen Zustände, die seine Zeitgenossen und Vorläufer schonungslos und unverblümt beschrieben, in ein zusammenhängendes System einbaute und für die Obrigkeit annehmbar machte. Er entwickelte die Doktrin der Einheit von Allem neu. Auch wenn die Lehre der Auslöschung des Ichs in Gott schon bei den ersten Sufis vorhanden war, entwickelte er dazu die nötige philosophische Theorie. Es entstand die Philosophie des „Sich-selbst Sterbens“, der Fana. Junayd bezog sich dabei auf den Urvertrag Gottes mit dem Menschen, der Urvertrag des „Alast“, als Gott noch vor Beginn aller Zeiten und vor Beginn der Schöpfung die noch ungeschaffene Kreatur fragte: “Bin Ich nicht euer Herr?“ Und die noch nicht existierenden Kreaturen ihm antworteten: „Wahrlich wir bezeugen, Du bist unser Herr!“ (Sura 7:172). Jede Anstrengung des Menschen ist letztlich darauf zurückzuführen, dass der Mensch wieder in jenen Urzustand der Seligkeit in der Einheit mit seinem Schöpfer zurückfinden möchte. Auf diese Rückkehr und Heimkehr wird oft und oft im Qur’an verwiesen, so z.B. in Sura 8:40: „Er ist unser Herr und zu Ihm ist die Rückkehr“. Von ihm stammen auch die Worte, die nach ihm so viele Sufis inspiriert haben: „Die Erkenntnis des Tauhid (Einheit) besteht darin, das Ewige von allem zu trennen, was seinen Ursprung in der Zeit hat“.

 

Der Ägypter Dhu’n-Nun (gest. 859) sei hier auch besonders erwähnt. Von ihm stammt die folgende Geschichte: „Ich habe in der Einsamkeit ein altes Weib gefragt:“ Was ist das Ende der Liebe?“ Und sie hat geantwortet: „Du Dummkopf! Weißt Du nicht, dass Liebe kein Ende hat?“ „Und warum hat Liebe kein Ende?“ „Weil der Geliebte kein Ende hat.“

 

Ein anderer berühmter Sufi, der die Obrigkeit sehr stark provozierte, war Bayezit al-Bistami (gest. 857) Er lebte nicht in Bagdad, sondern, wie schon sein Name sagt, in Bistam im Korassan, einer damals sehr bedeutenden Provinz Persiens. Er war der klassische Trunkene überhaupt. Obwohl er ein asketisches Leben predigte und ein solches auch unerbittlich selbst führte, beschrieb er seine Einheitserfahrung auf sehr provokante Weise mit den berühmten Worten: „Subhani – ma a’zma schani!“ Was soviel heißt: „Lobpreis sei mir – wie groß ist meine Majestät!“ Dieser Ausspruch muss aber so gesehen werden, dass er aus einem Zustand kam, in dem der Zustand der Fana (Selbstentwerdung) soweit fortgeschritten war, dass der Mensch Bayezit nicht mehr existierte und nur mehr der „Einzig Seiende“ aus ihm sprach.

 

So ist es von ihm zu Al-Halladsch (gest. 922) dem größten Märtyrer des Sufismus, nur ein kleiner Schritt. Hussain ibn Mansur al Halladsch musste durch seinen Ausspruch: „Ana’l-haqq!“ „ Ich bin die absolute Wahrheit!“ d.h. „Ich bin Gott!“ einen fürchterlichen Tod erleiden, erlangte dadurch aber auch unglaubliche Berühmtheit bis in die heutige Zeit. Nach neun Jahren Kerkerhaft wurde er zum Tode verurteilt. Der berühmte Sufidichter Attar beschreibt seinen Abschied so: “Einer fragte ihn, „Was ist Liebe?“ Er sagte: “Du wirst es heute sehen, Du wirst es morgen sehen und Du wirst es übermorgen sehen!“ An jenem Tage schlugen sie ihm Hände und Füße ab. Am nächsten Tage kreuzigten sie ihn und am dritten Tage verbrannten sie seinen Leib und übergaben seine Asche dem Wind.” So starb er, der das Volk immer wieder aufgefordert hatte: „Oh Leute tötet mich, denn im Tod nur ist mein Leben und im Leben ist mir Tod nur!“ Er soll beim Anblick seines Henkers gerufen haben: „Oh mein Gott, Oh mein Gott, Du kannst mich nicht täuschen, Du kannst mich nicht täuschen! Selbst in meinem Henker erkenne ich Dich, denn ich habe Dich längst erkannt!

 

Dieser Zeit der großen Mystiker folgte die Zeit der Theoretiker. Es gab in den folgenden zwei Jahrhunderten keine neuen Endeckungen mehr, was die Lehre des Sufismus betrifft, aber es gab viele große Geister, die diese Lehren in Abhandlungen fassten und alle Teile der Lehren der Sufis theoretisch untermauerten und auf vielerlei Weise immer wieder neu formulierten. Dies hatte zur Folge, dass der Sufismus als religiöse Wissenschaft anerkannt wurde und sogar als das Herz des Islam verstanden wurde.

 

Hier sei noch ausdrücklich Abu Hamid al-Ghazali (gest. 1111) erwähnt, der durch seine vielen theoretischen Arbeiten und Abhandlungen, besonders durch sein Werk „Ihjiha ulum ad-din“ (Das Erwachen der religiösen Wissenschaften) einen ganz wesentlichen Beitrag dazu leistete.

 

Diesem Zeitalter folgt nun ein ganz besonderes in der Geschichte des Sufitums. Es wird auch das goldene Zeitalter des Sufismus genannt. Vom 12. bis zum 14. Jahrhundert wurden die großen Sufibruderschaften gegründet, wie wir sie teilweise auch heute noch kennen und auf deren Inhalte ihrer Lehren wir am Beispiel der Mevlevi-Tarikat später noch eingehen möchten und auf deren Inhalte und Lehren wir am Beispiel der Mevleviye auf dieser Webseite noch behandeln. (Siehe dazu Artikel: Mevlevi-Tarikat)

 

Den Anfang machte Al-Qadir. Nach ihm ist die Tarikat der Qadiri-Derwische benannt, einem der größten und auch noch heute lebendigen Sufiorden. Ihm folgten Sohrawardi, Shadhili und viele andere. Die meisten dieser Bruderschaften sind nach ihrem Ordensgründer, dem Pir, benannt, aber nicht alle. Es gab auch berufsbezogen Tarikats (arab. Turuq) oder ortsgebundene. Die Bruderschaft der Mevlevi z.B. verbreitete sich fast nur innerhalb des Osmanischcen Reiches.

 

Aber nicht nur durch die Gründung von Bruderschaften fand ein Durchbruch statt, sondern auch in der Dichtung. Die berühmtesten Werke der Sufiliteratur wurden in dieser Zeit verfasst. Besonders im persischen Sprachraum entstand in dieser Zeit durch Attar, Rumi, Hafis, Saadi und viele andere die höchste Blüte der sufischen Dichtung.

 

Auf eine Person muss aber, wenn vom Sufitum die Rede ist, noch besonders hingewiesen werden:In Damaskus lebte ein Mann namens Ibn al-Arabi. Er gilt als das größte mystische Genie in der Geschichte des Islam. Er wurde im andalusischen Murcia im Jahr 1165 geboren. Er ist also ein Europäer, wenn wir so wollen. In Sevilla studierte er Jura und reiste dann nach Tunis, wo er mit dem Sufismus in Berührung kam. Nach Aufenthalten in Mekka, Kairo, Konya, und Bagdad ließ er sich schließlich in Damaskus nieder. Er hinterließ ein umfangreiches Gesamtwerk. Die Liste, die er noch kurz vor seinem Tode anfertigte, umfasst 270 Veröffentlichungen, vermutlich waren es aber um die 600. Längst nicht alle, die allerdings teilweise auch sehr kurz waren, sind uns erhalten geblieben. Seine berühmtesten Werke sind die „Mekkanischen Offenbarungen“ sowie die „Weisheit der Propheten“. Diese beiden Werke sind von großer Komplexität und Tiefgründigkeit. Sie sind ungemein schwierig und nur nach langem Studium zu verstehen. Die “Mekkanischen Offenbarungen” soll ihm, nach seinen eigenen Aussagen, der Erzengel Gabriel in Mekka offenbart haben, mit der Aufforderung, sie schriftlich niederzulegen. Im Anschluss daran und noch unter ihrer Inspiration verfasste er „Die Weisheit der Propheten“, wo jedes der 27 Kapitel, von Adam bis Mohammed (s.a.s.), einem anderen Propheten, gewidmet ist. Der Sheikh al-Akbar (Der größte aller Scheichs) wie er genannt wurde, hinterließ uns jenes Gedankengut, das wir in dieser Form bis heute im Sufismus vorfinden.

 

Seine Schöpfungstheorie besagt: Gott als unerkennbare, unbenennbare wudschud (Existenz), existierte allein in der anfanglosen Ewigkeit, obgleich die künftigen Dinge in ihrer in der Zeit entstehenden Form bereits in seinem Wissen feststanden. Die in ihm verborgenen Namen (die schönsten Namen Gottes, Sure 59:24) sehnten sich danach, sich zu manifestieren. Ein außerkoranisches Gotteswort lautet: „Ich war ein verborgener Schatz und wollte erkannt werden; darum schuf ich die Welt.“ So brachen die Namen infolge ihrer Sehnsucht, erkannt und geliebt zu werden aus dem verborgenen und niemals zugänglichen göttlichen Sein hervor. Das ist es, was er als „nafas ar-rahman“, (der Odem des Barmherzigen), bezeichnete – jener Odem, der die ganze Schöpfung durchweht und die göttlichen Worte wirken lässt. Die Namen trafen auf das Nichtsein, das sie wie ein Spiegel reflektierte, und so ist die Welt eine Spiegelung der göttlichen Namen. (letzte 7 Zeilen = Zitat von Prof.Dr.A.Schimmel)

 

Quellenangaben:
Emanuel Kellerhals: Der Islam – Gütersloher Verlagshaus 1978
Prof. A-Schimmel: Sufismus – C.H.Beck Verlag 2000
Rumi – Eugen DiederichsVerlag 1982
Anton Kiechle: Sufismus – Wilhelm Heyne Verlag 1985 und andere.
© Süleyman Bahn, Mevlana e.Verein