Nürnberger Nachrichten Dez. 2016

Nürnberger Nachrichten

Ekstatischer Weg zu Gott - Derwische des Mevlevi-Ordens zeigen ihr Tanzritual auf AEG

von Volkan Altunordu © NN

 

NÜRNBERG – Er zog vor Jahrzehnten aus, um in Indien die Erleuchtung zu suchen — und fand sie in Anatolien. Heute lässt Süleyman Bahn als Scheich des sufischen Mevlevi-Ordens seine Derwische in Nürnberg tanzen.

 

Scheich Süleyman Bahn Efendi ist die zentrale Figur des Vereins, der Menschen aus ganz Deutschland nach Nürnberg zieht.  Eine schlichte schwarze Hose und Weste, darunter ein ebenso schlichtes weißes Hemd. Auch die braune Filzmütze auf Süleyman Bahns Kopf verrät nicht annähernd, welch hohes Ansehen er bei seinen Glaubensbrüdern und -schwestern genießt: Der 72-Jährige, der früher als Innenarchitekt tätig war, ist einer von nur drei europäischen Scheichs des Mevlevi-Ordens. Auf der Suche nach religiöser Inspiration pilgern Menschen aus ganz Deutschland zu dem gebürtigen Österreicher, der seine physische Heimat schon vor vielen Jahren in Nürnberg, seine spirituelle aber vor noch längerer Zeit in der Türkei fand.

 

„Ich gehöre noch zur Achtundsechziger-Generation“, sagt Scheich Süleyman, „aus der ja sehr viele Menschen bis nach Indien fuhren, um Erleuchtung zu finden.“ Doch Wolf Bahn, wie er damals noch hieß, strandete bereits in Zentralanatolien. In Konya, an der Wirkungsstätte des berühmten islamischen Gelehrten und Dichters Mevlana, stand für ihn fest, dass er das Ziel seiner Reise erreicht hatte. Am Ende einer erfolglosen Suche nach einem Derwisch hatte der Östereicher, der bereits verzweifelt heimfahren wollte, doch noch Glück — er nennt es „Fügung“ — und fand einen Scheich, der ihn in die Lehren des großen Mystikers einweihte.

 

Heute, Jahrzehnte später, trägt Süleyman Bahn nicht nur den Namen seines damaligen Lehrers, sondern tritt auch als religiöser Wegweiser in dessen Fußstapfen. Dass der Begriff „Wegweiser“ mit Bedacht gewählt ist, wird im Gespräch mit Bahn schnell klar. Denn im Gegensatz zu vielen anderen religiösen Gruppen verstehen sich Scheichs des Mevlevi-Ordens nicht als religiöse Oberhäupter. „Es geht nur darum, Menschen, die religiös unzufrieden sind, dabei zu helfen, ihren Weg zu Gott zu finden,“

 

Und der führt bei den Anhängern des Sufismus, der mystischen Richtung innerhalb des Islams, nicht über die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe, wie Bahn betont. Im Gegenteil: „Ein Wir-Gefühl ist doch immer auch negativ“, findet der Scheich. „Denn wenn ,wir‘ Nürnberg sind, grenzen wir uns von Fürth ab. Ebenso als Franken von den Bayern, als Deutsche von anderen Ländern oder als Europäer vom Rest der Welt.“ In der Philosophie Mevlanas, zu dessen Ehren die Unesco das Jahr 2007 als sein Gedenkjahr ausrief, haben solche Abgrenzungen und Gegensätze keinen Platz: „Komm, komm wieder, komm . . ., seiest Du auch ein Ungläubiger oder Götzenverehrer, ein Feueranbeter oder Christ“, lautet einer der bekanntesten Losungen der Mevlevi.

 

Auf der Suche nach Gott kreisen die Derwische des Mevlevi-Ordens — hier bei einem ihrer seltenen öffentlichen Auftritte — voller Ekstase.

 

Dass von den rund 40 Aktiven aus ganz Deutschland, die die bescheidenen Nürnberger Vereinsräume nahe der Maximilianstraße besuchen, weniger als die Hälfte Muslime sind, überrascht nicht: „Wer die Nähe zu Gott sucht, ist hier auch willkommen“, betont Süleyman Bahn. Diese Offenheit ist nicht das Einzige, was den Orden in den Augen orthodox geprägter Muslime suspekt macht. Mindestens so schlimm ist für konservative Glaubensbrüder, dass hier nicht die strenge Einhaltung religiöser Gebote oder die Ausübung von Gebeten als Weg zur Erlösung gepredigt werden.

 

Im Mittelpunkt steht für die Anhänger Mevlanas vielmehr der individuelle Mensch. Als Geschöpf Gottes, so Bahn, „ist der Weg zu mir der Weg, um mich Gott verbunden zu fühlen“. Ein seelischer Zustand, der neben Mantren und Meditation vor allem durch den sogenannten Sema erreicht werden soll. Der rhythmisch-ekstatische Tanz zu meditativer Musik, den manch einer fälschlicherweise für Folklore hält, ist das Ritual, für das die Mevlevi-Derwische bekannt sind. Denn, so Sülyeman Bahn: „Islam heißt Hingabe. Und für uns hat der Sema sehr viel mit Hingabe zu tun.“

 

Mit wie viel Hingabe die Männer und Frauen — im Gegensatz zur Türkei tanzen hierzulande beide Geschlechter — ihre Kreise drehen, konnte man auch in Nürnberg live sehen. Einen Tag vor dem Todestag Mevlanas gaben die Derwische in der Kulturwerkstatt 141 Auf AEG einen seltenen Einblick in ihr Ritual. „Das war ein spirituelles Erlebnis — nicht nur für uns, auch fürs Publikum“, berichtet Ayşe Geçer. Die aus der Türkei stammende Ingenieurin, die dort ebenfalls tanzte, hat beobachtet: „Wenn ich nach dem Sema in die gelösten Gesichter der Zuschauer sehe, frage ich mich oft: ,Haben die getanzt oder ich?‘“

 

www.mevlana-ev.de