“Komm, komm wieder, komm……
seiest Du auch ein Ungläubiger, oder Götzenverehrer
ein Feueranbeter, oder Christ.
Hinter unserer Pforte wohnt nicht die Hoffnungslosigkeit;
und hast Du hundert Mal geschworen
und Deine Eide gebrochen,
komm, komm wieder, komm…”
Diese Worte stehen seit mehr als 700 Jahren an unserem Mutterhaus in Konya. Sie sagen viel über das Wesen des Mevlevi-Weges aus. Sie weisen unter anderem auf die große Toleranz und das noch größere Gottvertrauen dieses Weges hin.
Der Weg der Mevlevi ist ein sehr langsamer. Es werden niemandem Erleuchtung oder besondere übernatürliche Wunder versprochen. Es ist ein sehr einfacher Weg, der von jedem Menschen gegangen werden kann, denn er setzt genau dort an, wo der Mensch sich gerade befindet.
Bis 1925 gab es in der Türkei die sogenannten Dergâhs, in denen die Aspiranten zu Derwischen ausgebildet wurden. Kemal Atatürk hat diese dann verboten und die Ausbildungen und Treffen finden seitdem im privaten Kreis statt. In anderen islamischen Ländern gab es diese Derghâs etwas länger, sie wurden aber meist auch dort verboten oder sie lösten sich auf, weil der Kontakt zu einem lebendigen Zentrum zu lange Zeit unterbrochen worden war.
Die Ausbildung zum Mevlevi-Derwisch nennt man Cille (Tschille). Um in die Cille aufgenommen zu werden, bedurfte es, solange die Dergâhs noch funktionierten, verschiedener Vorbereitungen. Man musste sich im zuständigen Kloster einfinden und beim Scheich die Aufnahme beantragen, der sich mit dem Aspiranten unterhielt und seine Eignung einer Vorprüfung unterzog. Von Seiten der Dergâh wurden dann Erkundigungen über diese Person eingeholt.
Waren diese dann positiv ausgefallen, wurde der Aspirant gebeten sich in der Dergâh einzufinden, wo er dann in einem besonderen Ritual die Derwischmütze aufgesetzt bekam. Dieses Ritual, das auch heute noch so praktiziert wird, nennt man:
“Sikke tekbiri”, das Gebet für die Derwischmütze. Es ist die erste Initiation auf dem Wege. Durch sie wurde der Aspirant zum Mevlevi- Freund befördert. Der Freund erhielt mit dieser Initiation auch verschiedene Übungen, Gebete und Pflichten, die ihm der Scheich in das Ohr flüsterte. Er verließ dann die Dergâh aber wieder, um sich seinen Aufgaben im Leben zu widmen.
Er lebte in der äußeren Welt, wie jeder andere Mensch auch. Er konnte heiraten, einen Beruf ergreifen usw. Zu bestimmten Zeiten, meist jeden Donnerstagabend, fand er sich in der Dergâh ein, um im Kreise von Derwischen und anderen Freunden Mevlanas den Abend bei Sohbet (Lehrgespräch), Salat (Gebet), Dhikr (Gottesgedenken), Sema (Derwischtanz) und Musik zu verbringen. Dieser Teil wird auch heute noch so praktiziert und wir werden ihn später noch ausführlicher besprechen.
Sollte sich der Mevlevifreund nach einiger Zeit der Praxis entschlossen haben, ein richtiger Mevlevi-Dede werden zu wollen, teilte er dies dem Scheich mit. Der Begriff “Dede” heißt übersetzt “Großväterchen”. Der Scheich nahm diesen Entschluss nicht sofort begeistert auf, sondern er verlangte meist dann von ihm, sich die Sache nochmals gründlich zu überlegen. Dies sollte in einer Zeit der Askese und des Fastens in völliger Zurückgezogenheit von der Welt geschehen. Auch benötigte er die Erlaubnis seiner Erziehungsberechtigten oder seiner Familienangehörigen.
Die Ausbildung begann, indem sich der Neuling in der Dergâh einfand, wo er in der Küche drei Tage auf einem bestimmten, ihm zugewiesenen Platz, auf einem Fell kniend, verharrte. Er beobachtete dabei die Arbeiten und Dienste in der Küche. Er durfte seinen Platz nicht verlassen. Musste er zur Toilette, hatte er um Erlaubnis zu fragen. Er aß, was man ihm gab und blieb ansonsten immer auf dem ihm zugewiesenen Platz sitzen.
Auch die Nacht verbrachte er dort in einem Bettzeug, das man ihm brachte. Er wurde dabei genau vom Kasanci-Dede (Kessel-Väterchen), dem Küchenmeister beobachtet. Gegen Ende der drei Tage wurde er noch einmal darauf hingewiesen, dass er jetzt noch ohne weiteres gehen könne. Hatte er sich aber entschlossen zu bleiben und wurde er angenommen, so begann jetzt die 18-tägige Probezeit zur 1001-tägigen Dienstzeit in der Cille.
In der Küche der Mevlevi wird nicht nur das Essen zubereitet, sondern auch der Mensch. Er wird geknetet wie ein Teig, er wird geformt wie ein Brot, er wird reif gemacht und gekocht wie rohes Gemüse, das im Topf gekocht wird.
Die ersten 18 Tage begann er als Laufbursche zu dienen. Er hatte alle Aufgaben zu erfüllen, die man ihm auftrug. Er bekam allerlei niedere Arbeiten aufgetragen wie z.B. das Reinigen der Toiletten und hatte diese immer mit den Worten “Sehr gerne” zu erfüllen. In dieser Zeit konnte es sein, dass erkannt wurde, dass er zum Derwisch nicht taugt. So wurden ihm des Nachts seine Schuhe, mit den Spitzen zum Ausgang zeigend, zur Türe gestellt. Er hatte in diesem Falle beim Morgengrauen die Dergâh zu verlassen. Hat er aber die 18-tägige Probezeit bestanden, wurde ihm vom Oberkoch eine bestimmte Mütze, die “Arakiye” und sein Derwisch-Rock, über die vorher noch Gebete gesprochen wurden, überreicht. Er entledigte sich nun seiner Privatkleider und trug von nun an die Derwischkleidung.
Diese Zeremonie trägt den Namen “Sich-entkleiden”. Der Novize hatte nun den Titel: “Nev-niyaz” (Der-zum-Derwisch-Erwählte). Er musste nun unter Aufsicht des Küchenleiters verschiedene asketische Übungen durchführen und er lernte zu dienen. Er lernte auch in der Küche den Derwischtanz (Sema). Auf einem bestimmten Platz war ein Holznagel im Boden eingelassen, dessen Kopf etwas herausschaute. Auf diesem Nagelkopf lernte der Aspirant das Drehen. Zwischen den zwei ersten Zehen wurde der Nagelkopf platziert und als Mittelpunkt für die Drehbewegung verwendet. Vor und während der Übung wurde Salz auf den Nagel und die Zehen gestreut.
Er lernte, sich um eine imaginäre Achse zu drehen, in völliger körperlicher Losgelöstheit und totaler Hingabe an Gott. Er lernte sich um sein eigenes Herz zu drehen, denn: “…Gott ist dem Menschen näher als seine eigene Halsschlagader.” (Quran, Sura 50/16) Er hatte lange Zeit in der Küche zu dienen und zu lernen. Aber auch in den anderen Bereichen der Dergâh lernte er zu dienen. Ingesamt 18 verschiedene Dienste hatte er bei den entsprechend dafür verantwortlichen Dedes zu absolvieren. Der letzte war die Reinigung der Dergâh und der Toiletten. Damit wurde dem Aspiranten noch einmal vor Augen geführt, dass das Leben des Derwisch ein Leben der Reinigung ist, und er niemals ausgelernt hat, denn die Toilette reinigen musste er schon in den ersten 18 Tagen seiner Ausbildung.
Auch lernte er etliches an Theorie in dieser Zeit der Ausbildung. Er lernte Arabisch, um den Hl. Koran lesen zu können. Er lernte Persisch, um das Mesnevi, das große Lehrbuch von Hz. Mevlana, zu studieren. Er lernte vielleicht ein oder mehrere Musikinstrumente, oder er wurde je nach Talent zum Sänger ausgebildet oder er lernte vielleicht Kalligraphie und Buchbinden etc. Am Ende seiner Lehrzeit kam eines Morgens der Zeremonienmeister zu ihm. Der Novize erhielt nun eine eigene Zelle und man überreichte ihm seine neuen Derwischkleider, die er anzog, nachdem er vorher noch im Badehaus gewesen war.
Des Abends nahm er auf demselben Fell Platz, auf dem er, beim Eintritt in den Orden, schon einmal drei Tage gesessen hatte. Der 18-armige Leuchter wurde entzündet. In einer neuen Zeremonie mit Gebet und Gesang wurde ihm jetzt durch den Kasanci-Dede seine “Sikke” (Derwischmütze) aufgesetzt. Der neue Derwisch wurde nun zu seiner Zelle geführt und er verließ diese nun drei Tage nicht, er meditierte und betete. Er wurde von den anderen Derwischen besucht, die ihm kleine Geschenke brachten. Hatte ein Besucher nichts zu schenken, brachte er ihm mindestens drei Blätter eines Baumes mit. Diese klemmte er unter den Teppichrand. Nach Ablauf dieser drei Tage wurde er zum Scheich geführt, der ihm nun in Form eines Rituals die “Hirka”, also den Derwischmantel, umlegte.
Nun folgte abermals eine Probezeit von 18 Tagen. Sie heißt: “Die Askese in der Zelle”. War diese nun auch erfolgreich bestanden, bekam der Derwisch, durch den Scheich, bei einem neuerlichen Gebetsritual die “Sikke” aufgesetzt. Dies war die eigentliche und letzte Initiation. Der Derwisch durfte sich nun “Mevlevi-Dede” nennen. Von nun an stand es ihm frei in der Dergâh zu bleiben, wo er dann seine Ausbildung als Musiker, Tänzer etc. weiter vertiefte, wie auch seine Kenntnisse in persischer und arabischer Literatur. Kurzum er erweiterte seine Bildung bis zur Meisterreife und Lehrbefähigung.
Ging er aber nach seinen 1001 Tagen in der Cille zurück in die Welt, konnte er einen Beruf ergreifen, heiraten und eine Familie gründen. Der letzte Tag in der Cille, der 1001. Tag war zugleich der 1.Tag der neuen Cille, der eigentlichen Cille, die das Leben ist.
Der Derwisch, der diese Cille aus familiären oder sonstigen Gründen nicht machen konnte, war nun auch in früheren Zeiten sicher nicht vom Weg abgeschnitten, auch wenn er nicht durch einen solchen Intensivkursus wie die Cille gegangen war. Seine Ausbildung zum Derwisch dauerte eben etliche Jahre länger. Sein Lehrer, der nicht unbedingt ein Scheich war, sondern ihm durch den Scheich zugeteilt wurde, betreute ihn durch längere Zeit. Er lernte durch seine Anleitung viele Jahre, manchmal bis zum Tode des Lehrers und es ergaben sich daraus oft wunderbare Freundschaften. Auch er lernte die nötigen Regeln des Adab, und er lernte, was das Wichtigste ist, zu dienen. Er machte dieselben Übungen, wie sie in der geschlossenen Dergâh gemacht wurden. Er fastete z.B. oft auch außerhalb der Ramadanzeit und zog sich auf Anweisung seines Lehrers in einem eigens innerhalb einer Moschèe dafür erbauten Raum zu einem sogenannten Halvet zurück. Abends wurde ihm eine Kleinigkeit zu essen und trinken gebracht. Eine Suppe, ein paar Datteln und ein Krug Wasser. Er blieb meist 18 Tage im Halvet, manchmal auch 40 Tage, ganz allein, nur mit sich selbst und seinem Schöpfer. Auch er lernte Musikinstrumente oder die Kunst der Kalligraphie. Er lernte genauso wie der Derwisch in der Cille, wenn auch über entsprechend längere Zeitabläufe.
Genau diese Methode wird heute wieder angewandt. Die Mitglieder unserer Gruppen treffen sich nach Möglichkeit regelmäßig in ihrer Dergâh und praktizieren gemeinsam traditionelle Übungen. Da der Derwisch-Weg ein Weg im Leben ist, ist dies auch möglich. Die Ausbildung findet langsamer und über längere Zeitabläufe statt. Die Teilnahme an solchen Gruppentreffen sowie Einzelsitzungen mit dem Scheich sind aber auch weiterhin Vorausetzungen für das Beschreiten des Weges. “Jeder Gläubige ist dem anderen ein Spiegel “, wie eine alte Sufi-Regel sagt. In diesem Spiegel lernt man zunächst, sich selbst zu erkennen. Wenn diese Selbsterkenntnis eingetreten ist, lernt man Methoden, sich seinem wahren Wesen zu nähern und schließlich dieses Wesen, das man selbst ist, zu leben und Gott und seiner Schöpfung zu dienen, um jenen Stellenwert innerhalb der Schöpfungskette einzunehmen, zu dem der Mensch geschaffen wurde.
Um in die Tarikat aufgenommen zu werden, ist es nicht unbedingt nötig, den Islam als persönliche Religion anzunehmen, wie das bei den meisten anderen Tarikats Voraussetzung ist, aber es ist nötig, sich in die Inhalte der islamischen Religion einzuarbeiten. Denn unser Weg steht natürlich auf den Fundamenten der islamischen Religion, wie alle anderen Sufi-Tarikats auch. Unser geliebter Pir Hz. Mevlana sagte zu diesem Thema: “Ich bin Diener des Koran und ein Staubkorn auf dem Pfade Muhammads, des geehrten. Sagt einer etwas anderes über mich, bin ich darüber sehr traurig.”
Es werden eine Reihe von Übungen gemacht und eine Reihe von grundsätzlichen Änderungen in der Haltung zum Leben gelernt. Es werden bestimmte neue Umgangsformen eingeübt. Diese nennt man der Adab. Er ist ein sehr wichtiger Bestandteil zur Erreichung unseres Zieles. Durch den Adab lernt man, sich den Dingen des Lebens mit großem Respekt zu nähern. Dies betrifft die gesamte Schöpfung. Umweltschutz ist keine Erfindung der Neuzeit hier im Westen, sondern der Derwisch lernte dies schon vor vielen hundert Jahren.
Man sollte seinen Nächsten als Spiegelbild Gottes erkennen und sich ihm gegenüber auch so verhalten. Man soll sich der ganzen Schöpfung gegenüber so verhalten, denn die Schöpfung ist aus Gott hervorgegangen. Liebe und Mitgefühl mit jeder Kreatur vom Stein über die Pflanze bis zum Menschen gehören zu den Attributen des Derwischseins. Es werden Sema und Dhikr geübt, teils zusammen in der Gemeinschaft, teils wird es täglich zu Hause praktiziert.
Das oberste Ziel ist es, leer zu werden von allem, was nicht Gott entspricht. Leer zu werden wie die Ney, die Rohrflöte. Die Ney ist das Symbol des Derwisch. Sie besteht aus einem Bambusrohr, das mit einem glühenden Eisen durchbohrt wird. Sie ist völlig hohl und leer. Die Schwingung erzeugt ausschließlich der Atem des Musikers. Sie hat einen sehr sehnsüchtigen, klagenden Klang, der den Menschen an seine Urheimat im Schoße Gottes erinnert. Hz.Mevlana hat ihr die ersten Zeilen seines berühmten Mesnevi gewidmet. Die ersten 18 Doppelverse werden daher das Rohrflötenlied genannt. Sie stehen wegen ihres geheimnisvollen Ursprungs in besonderem Ansehen. Erst wenn der Mensch leer wird, wie das Rohr der Flöte, kann der Atem Gottes durch ihn hindurch strömen und seine Seele zum Schwingen bringen. Jedes Glied, jede Pore des Menschen ruft dann HU. (Gott, wörtl. Er). Erst wenn der Mensch leer von allem ist, was nicht seinem Sein entspricht, wird seine Seele zu singen beginnen und in den Lobpreis Gottes einstimmen. Aber dieser Lobpreis ist dann kein bloßes Lippenbekenntnis mehr, sondern ein Lobpreis des ganzen Wesens eines Menschen, dessen Handlungen zum Lobpreis werden, dessen Liebesfeuer ihn so brennend und so trunken macht, dass er ganz und gar zum Zeugnis Gottes wird. Der Atem Gottes bläst durch ihn, wie der Atem des Musikers durch die Ney. Damit dies aber kein angelesenes Wissen bleibt, ist es nötig den Weg selbst zu gehen um das Ziel des Brennens in der Liebe auch zu erreichen.
Diese wichtigsten Werkzeuge zur Erreichung dieses Zieles sind:
1. Der Glaube
2. Das Gebet
3. Das Fasten
4. Das Almosengeben
5. Die Pilgerfahrt zum Heiligen Haus
(Für Moslems ist die Reise nach Mekka eine Pflicht, die einmal im Leben gemacht werden sollte, wenn die finanziellen Möglichkeiten es zulassen. Für den Derwisch ist hier aber auch die Pilgerfahrt zum eigenen Herz gemeint.)
Diese ersten fünf Werkzeuge sind die sogenannten Säulen der Islamischen Religion.
Sie werden durch fünf weitere ergänzt.
6. Das Dhikr
(Litaneiartige Gebetsübungen, wörtl. Gottesgedenken)
7. Das Fikr
(Meditation, Selbsterinnerung, geistige Betrachtung)
8. Das Sema
(Derwischtanz, wörtl. Hören) und die Musik(Sufimusik)
9. Den Adab
(Benehmen und Umgangsformen)
10. Das Dienen
All diese Werkzeuge werden in unseren Gruppen kennen gelernt und langsam erarbeitet. Ab und zu treffen wir uns mit unseren Freunden aus den anderen Ländern, ab und zu besuchen uns Scheichs aus der Türkei und manchmal machen wir auch zusammen eine Reise zu Hz. Pir nach Konya, oder zu einem anderen wichtigen Platz.
Wir freuen uns über jede(n), die (der) uns kennen lernen möchte, bitten sie (ihn) aber, vor einem Besuch sich mit uns in Verbindung zu setzen. Dies kann über Internet oder Telefon erfolgen.
Internationale-Mevlânâ-Stiftung Deutschland Mevlânâ Verein e.V.
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